Stand: 06.02.2023 16:24 Uhr
Durch "Non-Fungible Token", kurz NFTs, wird aus einer normalen Datei ein Original, das gehandelt werden kann. Bild-Dateien werden dadurch so gesichert, dass sie nicht mehr verändert werden können.
Mit dem Kunstmarkt und der Kunstwelt insgesamt kennt sich Kolja Reichert bestens aus: Kritiker, aber auch Kurator an der Bundeskunsthalle sowie Buchautor: "Kann ich das auch? 50 Fragen an die Kunst", so heißt sein jüngstes Buch. Ein Gespräch.
Herr Reichert, ich bin bei den NFTs immer noch ratlos. Wenn ich vor den "Seerosen" in der Pinakothek stehe, denke ich: Das sieht anders aus als die Drucke, das hat so eine Erhabenheit. Und wenn ich eine Zahlenreihe kaufe, ist das doch nur eine Zahlenreihe - wie sehen Sie das?
Kolja Reichert: Ja, das ist richtig. Man könnte natürlich auch Seerosen-Gemälde mit NFTs verknüpfen. Es ist ja immer von NFTs die Rede, als wäre das eine neue Sorte von Kunst. Das stimmt ja überhaupt nicht. Es ist einfach nur eine neue Sorte von Buchhaltungstechnologie, also eine neue Art, Eigentum zu verbriefen. Ein NFT ist ja kein Kunstwerk, sondern ein Eintrag auf einer Blockchain, was den Vorteil hat, dass niemand diesen Eintrag verändern kann. Jeder kann sich darauf verlassen, und man kann in einem sogenannten Smart Contract schreiben: "NFT xy gehört Person Kreiskott und ist verknüpft mit dem Seerosen-Bild, das in der Pinakothek hängt." Das ist theoretisch möglich. Man kann digitale Bilder dran hängen, das können echte Bilder sein, Kleidungsstücke oder Anteile an Autos oder Häusern.
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Ich habe in einer Zeitschrift die zehn teuersten NFT-verknüpften Werke gesehen - und das waren Bilder von Katzen und Hunden.
Reichert: Das tut mir wahnsinnig leid, wenn ein Markt nur von Spekulationen beherrscht ist und wenn es überhaupt kein Interesse daran gibt, sich darüber zu unterhalten, was man eigentlich schön findet, was man sich wünscht, was die Kunst oder das menschliche Nachdenken voranbringt oder was die eigene Verbindung zur Geschichte oder zu den eigenen Wahrnehmungssinnen stärkt. Dann passiert eben so was. Jahrhundertelang hat die Kunstgeschichte, haben öffentliche Museen und Kunsthistoriker*innen, eine Vertiefung von Kenntnis geschaffen und die Möglichkeit, darüber zu sprechen, was eine gute Form ist, was die Kunst voranbringt. Wenn Katzen- und Hundebilder die teuersten Werke sind, dann glaube ich nicht, dass damit die Besitzer*innen lange froh sein werden, weil es da eigentlich kein Gespräch der Gesellschaft darüber gibt, was den Wert dieser Dinge tragen würde. Es ist wirklich nur eine Spekulation auf ihren ökonomischen Wert.
Gibt es denn einen positiven Aspekt zu sehen dadurch, dass digitale Kunstwerke, die bisher frei kopierbar waren - was ein großes Problem für Künstlerinnen und Künstler darstellt -, nun vermarktbarer geworden sind? Beobachten Sie da ein Aufstreben von digitalen Künstlerinnen und Künstlern?
Reichert: Ja, auf jeden Fall. Es erlaubt Künstlern, auch mit digitalen Werken Geld zu verdienen. Und das stellt sehr viel Energie frei, darüber nachzudenken, was interessante Formen sind, die im Medium des Digitalen gemacht werden. Vor allem erlaubt es, über die bisherigen Vorstellungen, was es heißt, etwas zu besitzen, hinauszugehen und mit neuen Eigentumsmodellen zu spielen. Ich denke zum Beispiel an eine Künstlergruppe im Kongo, die in ihrem neugebauten Museum gerne einer Skulptur aus ihrer Region ausstellen wollte, die aber in einem Museum in Virginia ist. Dieses Museum hat diese Skulptur nicht ausgeliehen. NFTs erlauben es nun dieser Künstlergruppe, diese Skulptur trotzdem zu verkaufen und zu sagen: Sie gehört ja eigentlich historisch uns. Wir verkaufen Anteilsscheine, und von diesen Anteilsscheinen kaufen wir mehr Land zurück und führen dort wieder kulturelles Leben und nachhaltige Landwirtschaft ein, die von der kolonialen Plantagenwirtschaft ausgerottet worden war.
Es gibt also schon viele neue Experimente, die mit NFTs gemacht werden können. Aber wenn man nur ein Abziehbild, ein Klischee von unserer alten Vorstellung hat - man hat ein Bild, man hat eine Katze, man hat einen Hund -, dann kommt man nicht so richtig weiter. Aber wenn man NFTs nutzt, um quasi kollektive Verträge zu bauen und allen in dieser Nutzer- oder Besitzergemeinschaft Anteile zuzuweisen oder im Falle eines Weiterverkaufs auszuschütten, dann können wirklich neue Formen entstehen. Die liegen vielleicht gar nicht auf der Bildebene, sondern in den Verträgen, die sich die Menschen miteinander geben.
Wie ist das denn mit ernsthaften digitalen Künstlerinnen und Künstlern, die dadurch, dass mehr Geld erwirtschaftbar ist, auch ganz anders arbeiten können? Diese Fälle musste es doch auch geben, oder?
Reichert: Ja, sicher. Ich denke zum Beispiel an Simon Denny, der NFTs verkauft, die auf einst untergegangenen Dotcom-Unternehmen basieren, die er in so einer Art Zombie-Ästhetik wiederauferstehen lässt. Das ist eine lustige, interessante Form, diesen Sachen, die damals gecrasht sind an einem Markt, der schon so spekulativ war, wieder ein Wert zu geben in der Form einer Spielkarte. Oder die Künstlerin Sarah Friend, deren Lifeform-NFTs ihren Wert verlieren, wenn man sie nicht rechtzeitig weiterverkauft. Die sind so ein bisschen wie Tamagotchis: Die muss man pflegen, um die muss man sich kümmern und die muss man jemandem weiterverkaufen oder schenken, damit sie überhaupt am Leben bleiben. Ohne NFTs gäbe es die Ökonomie nicht, die das Experimentieren mit solchen Formen erlauben würde.
Nun bleiben zwei grundsätzliche Probleme: Erstens sind die Kryptowährungsmärkte außerordentlich unübersichtlich. Zweitens zieht das Ganze eine irrsinnige Energie, diese Codes zu schaffen. Wie gehen wir damit um?
Reichert: Daran wurde gearbeitet, seit Blockchain überhaupt verwendet wird. Der bisher immer noch interessantesten und utopischsten Blockchain, der Ethereum-Blockchain, ist es letztes Jahr gelungen, ihre Technologie umzustellen: Statt dass überall auf der Welt ständig eine wahnsinnige Rechenleistung aufgebracht wird, um die einzelnen Transaktionen zu validieren, wurde ein neues Verfahren geschaffen, um quasi das Vertrauen in neue Transaktionen zu schaffen, was nicht mehr auf dieser Rechenleistung und diesem Stromverbrauch basiert. Dadurch ist der Stromverbrauch um über 99 Prozent gesunken. Das sind also Fragen, die nicht ideologisch oder moralisch sind, sondern das sind Fragen der technologischen Weiterentwicklung. Es ist bewiesen, dass die Überwindung dieses Emissionsproblems möglich ist, und sie ist jetzt auch teils schon umgesetzt.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.
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Author: David Knight
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